Ist die Marktwirtschaft überreguliert? Teil I
Ob bei der Gründung eines Unternehmens oder dem Betrieb eines Gewerbes, dem Im- und Export von Waren oder dem Handel mit Aktien: Bei praktisch allen unseren Aktivitäten im Bereich der Marktwirtschaft hat immer auch der Staat seine Finger mit im Spiel. Denn der deutsche Staat behält sich das Recht vor, in seinem Einflussbereich Kontrolle über die Marktwirtschaft auszuüben. Zweifelsohne hat das seine Vorteile, aber eben auch gewisse Nachteile.
Doch wo verläuft die Grenze zwischen einer sinnvollen Regulierung und einer Überregulierung? Hält der deutsche Staat die Zügel möglicherweise schon zu straff? Ist unsere Marktwirtschaft überreguliert?
In einem zweiteiligen Beitrag gehen wir solchen Fragen nach!:
Inhalt
Sinn und Zweck der Regulierung
Um die Frage zu klären, ob unsere Marktwirtschaft überreguliert ist, müssen wir zunächst ein Stück in der Geschichte zurückgehen und uns ein wenig mit Wirtschaftstheorie befassen.
Stellen wir uns also vor, wir würden auf einer Welt leben, in der jeder völlig frei Handel betreiben könnte, ohne dass sich der Staat jenseits von Steuerzahlungen in irgendeiner Form einmischen würde. Dabei schließt der Handel an dieser Stelle unternehmerische Tätigkeit in jeglicher Form ein.
In dieser freien Marktwirtschaft in ihrer reinsten Form gelten diese Rahmenbedingungen:
Lehre von Angebot und Nachfrage: Die Preise bestimmen sich ausschließlich danach, wie viel vorhanden ist und wie viel Kunden bereit sind, dafür zu bezahlen.
Alle Produktionsmittel als Privateigentum: Der Staat ist an keinem Unternehmen beteiligt.
Freier Wettbewerb: Unternehmen können sich absprechen und dürfen sich zusammenschließen, ohne dass der Staat eingreift.
Der Staat reguliert also nicht, wer was in welcher Form und Menge mit wem produziert. Auch auf die Preise wirkt der Staat nicht ein. Der gesamte Markt zielt allein darauf ab, das Streben der Unternehmen nach Gewinn und das Streben der Konsumenten nach Nutzen zu steigern.
Dieses Ideal gab es in Deutschland schon einmal, nämlich während der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Damals gab es praktisch keine Regulierung durch den Staat. Objektiv betrachtet ging das mit sehr positiven Effekten einher.
So explodierte die Wirtschaft regelrecht, Firmen schossen wie Pilze aus dem Boden und Großkonzerne positionierten sich. Außerdem stieg der allgemeine Wohlstand für einen großen Teil der Bevölkerung innerhalb sehr kurzer Zeit massiv an.
Fehlende Kontrolle
Doch die Schattenseite dieses frühen freien Marktes war, dass auch die Aspekte unreguliert blieben, die für das humane Kapital von immenser Bedeutung waren. Es gab keine Mindestlöhne, keine Regulierungen der Arbeitszeiten und keinen Schutz bei Arbeitslosigkeit.
Gerade Letztere konnte durch das Auf und Ab der unkontrollierten Wirtschaft jederzeit eintreten.
Die Folge davon war, dass in den ersten freien Marktwirtschaften die Arbeiter, die die Gewinne erst möglich gemacht hatten, am wenigsten davon profitierten. Was erwirtschaftet wurde, ließ vor allem diejenigen reicher werden, die über die Produktionsmittel verfügten.
Im Verhältnis dazu musste sich der Arbeiter mit einem überschaubaren Gehalt begnügen, für das er hart arbeiten musste. Weil dadurch eine Massen-Verelendung drohte, griff der deutsche Staat erstmals in die Märkte ein, indem er frühe Formen der Sozialversicherung auf den Weg brachte.
Davon abgesehen hielt sich Deutschland, wie auch die meisten anderen kapitalistischen Staaten, bis weit ins 20. Jahrhundert hinein mit weiteren Regulierungen zurück. Im Jahr 1929 ereignete sich mit dem großen Crash der Wallstreet aber etwas, was eine direkte Folge der fehlenden Regulierung war.
Zwar sind die Gründe für den Crash sehr komplex. Doch sehr vereinfacht erklärt war die Ursache, dass zu viel Handel kreditfinanziert war. Als sich die große Panik breit machte, waren weltweit Milliarden Dollar ungedeckt.
Das führte dazu, dass die deutsche Volkswirtschaft, die sich gerade erst halbwegs vom Ersten Weltkrieg und der darauffolgenden Hyperinflation erholt hatte, wie alle anderen Volkswirtschaften einen starken Schlag erhielt.
Sanfte Kontrolle
Nach den Zerwürfnissen des Zweiten Weltkrieges wollte es Deutschland besser machen. Es sollte eine Marktwirtschaft geben, die zwar frei, aber an den richtigen Stellen reguliert ist. So sollten einerseits alle davon profitieren und sich andererseits die Mechanismen, die zum Börsencrash geführt hatten, nicht wiederholen können.
Das Ergebnis war eine sogenannte soziale Marktwirtschaft, zu der gehörte:
- Die Produktionsmittel blieben weiterhin freies Eigentum.
- Die Preise konnten frei gestaltet werden.
- Die Gesetzgebung regulierte den Wettbewerb, indem zum Beispiel Kartelle verboten wurden.
- Eine Notenbank wurde eingerichtet, die die De- und die Inflation unter Kontrolle hielt.
Mit diesem Konzept stellte sich die BRD in den ersten Nachkriegsjahrzehnten wirtschaftlich stark auf. Die deutsche Wirtschaft erlebte erneut einen Boom und dieses Mal hatten alle Schichten etwas davon.
Denn die Gewinne wurden durch regelmäßige Lohnanhebungen auch nach unten weitergereicht.
Soziale Reformen
Das Problem mit der sozialen Marktwirtschaft ist schon seit jeher, dass Deutschland kein in sich geschlossenes System ist. Stattdessen waren und sind wir abhängig vom Handel mit anderen Staaten, unter denen sich auch Länder mit weniger Regulierungen befinden. In den ersten Jahrzehnten der sozialen Marktwirtschaft machte sich das noch nicht großartig bemerkbar.
Aber dann kamen mehrere Dinge zusammen:
In Verlauf der 1970er- und 1980er-Jahre flachte sich die allgemeine Weltwirtschaft ab und die Gewinne gingen zurück.
Durch die Wiedervereinigung Deutschlands wurden mit einem Schlag mehrere Millionen Menschen Teil des Sozialsystems, die bis dahin dort keine Beiträge eingezahlt hatten.
Die Globalisierung führte dazu, dass die Unternehmen in solche Länder abwanderten, in denen sie günstigere Produktionsbedingungen vorfanden.
Diese Mischung brachte das bisher stabile System ins Wanken. Während die Sozialausgaben stiegen, kamen weniger Steuern nach. Der Geldtopf leerte sich stetig, bis Deutschland Anfang der 2000er-Jahre zum „kranken Mann Europas“ geworden war.
An Reformen führte nun kein Weg mehr vorbei, drastische Einschnitte im Sozialsystem waren unumgänglich. Die Einführung des Arbeitslosengelds II, auch bekannt als Hartz IV, war ein Bestandteil der sogenannten Agenda 2010.
Unterm Strich ging es darum, dass Deutschland für Unternehmen attraktiver und für den Staat günstiger werden sollte. Die Bemühungen hatten Erfolg. Deutschland konnte sich nicht nur wirtschaftlich erholen, sondern wurde wieder zu einem wichtigen Motor der ganzen EU.
Fragwürdige Herangehensweisen
Wirtschaftsexperten aus allen Schichten des politischen Spektrums räumen ein, dass die Maßnahmen seinerzeit notwendig waren und es letztlich keine Alternativen gab, um aus der Misere herauszukommen. Ohne die Reformen wäre Deutschlands Wirtschaft immer weiter abgewandert.
Über die Folgen davon können wir nur spekulieren. Klar ist aber, dass es heute schlechter aussehen würde, weil die Kosten des früheren Sozialstaats deutlich höher wären als die Einnahmen.
Gelöst sind die Probleme damit aber keineswegs. Denn die Globalisierung geht weiter. Schon heute kann Deutschland nur deshalb so weitermachen wie bislang, weil im Hintergrund stark gespart wird, unter anderem zulasten der Infrastruktur. Nicht umsonst sind die Schwarze Null oder die Schuldenbremse heiß diskutierte Stichworte.
Derzeit wird der Staat leider weder der Marktfreiheit noch dem Sozialen wirklich gerecht. Das fängt schon damit an, dass die wirtschaftlichen Erfolge erneut zulasten der Arbeitnehmer gingen.
So haben zum Beispiel die Reallöhne nicht mit der Wirtschaftskraft und den Preisen Schritt gehalten. Damit haben wir heute ein ähnliches Problem wie seinerzeit während der Industrialisierung.
Doch auch den Unternehmen macht es der Staat nicht leicht. Durch die Subventionierung bestimmter Branchen wird der Markt ein Stück weit verzerrt. Gleichzeitig wird kleinteilig in die Bereiche der Arbeitgeber hinein reguliert, ohne dass sich daraus ein echter Nutzen ergibt.
In Deutschland müssen Unternehmen fast 100.000 verschiedene Paragrafen beachten, die noch durch die Vorschriften ergänzt werden, die sich aus der EU-Gesetzgebung ergeben.
Zweifelsohne sind viele Gesetze, Richtlinien und Vorgaben notwendig. Schließlich sorgen sie dafür, dass Produkte und Dienstleistungen aus Deutschland qualitativ gegenüber der weltweiten Konkurrenz im Vorteil sind, Arbeitnehmer einen weitreichenden Schutz genießen oder die Umwelt nicht überbelastet wird.
Auf der anderen Seite legen viele Vorschriften die Unternehmen unnötig an Ketten. Doch genau dadurch schadet Deutschland sich selbst.
Denn ein gebremster Markt geht mit weniger Steuereinnahmen einher, die dann wieder an anderen Stellen fehlen.
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Thema: Ist die Marktwirtschaft überreguliert? Teil I
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